Ich bin die Reise.

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Am Ende der Reise ist gar kein Ende.
Denn Reisen ist nicht der Ort, die Fahrt oder das Wetter.


 

„Ich komme gerade von einer langen Reise zurück.“ Mit dieser Antwort versuche ich die Frage „Und was machst du so?“ möglichst befriedigend und eindeutig zu beantworten. Die Antwort „Ich wohne gerade eigentlich nirgends und somit überall, ich entwickle meine eigenen Tänze, und Texte, ich treffe mich viel mit anderen Menschen und tausche mich aus, ich bin sehr beschäftigt damit Tante zu sein, aber eigentlich bin ich Kommunikationsstrategin.“ überfordert die meisten Fragesteller. Ich habe es probiert.

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Ok, ganz objektiv betrachtet komme ich gerade tatsächlich von einer langen Reise zurück. Ein halbes Jahr bin ich durch Mittelamerika gereist und ein halbes Jahr habe ich in Panama gelebt und jetzt bin ich wieder in Deutschland. Aber ganz subjektiv betrachtet, fühlt sich das überhaupt nicht nach dem Ende einer Reise an. Dafür müsste ja irgend etwas vorbei sein. Doch ich fühle mich heute am Schreibtisch meines Bruders in München sitzend noch genauso wie vor sieben Monaten, als ich die großen Treppenstufen zum großen Inkatempel in Mexiko schräg im Inkastil hinauflief und genauso wie vor drei Monaten, als ich morgens mit dick Sonnencreme auf der Nase und Surfbrett unter’m Arm aus meinem panamaischen Apartment stolperte und mich die Bauarbeiter von nebenan mit „Buenas dias!“ anschrien. Ich fühle mich noch ganz genauso. Nur eben wieder an einem anderen Ort.

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Na gut, Reisen ist noch ein bisschen mehr als das Gefühl. Es geht auch darum aus seinem Alltag auszubrechen. In neue Welten einzutauchen. Ganz andere interessante Menschen kennenzulernen. Vielleicht eine Fremdsprache zu lernen.

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Auch das tue ich immernoch. Mein alltägliches Leben ist ein Antialltag. ‚Normalerweises’ und ‚Immers’ gibt es nicht in meiner Tagesbeschreibung. Ich trinke morgens gerne heißes Wasser, ohne alles. Das ist mein einziger Alltagshabitus. Danach ist jeder Morgen anders, jeder Mittag anders, jeder Abend anders. Das ist manchmal anstrengend, weil kein fester Ablauf mir sagt, ob ich als nächstes zum Sport, zum Mittagessen oder an den Laptop gehe. Das ist aber auch erfrischend, weil ich in jedem Moment neu entscheiden kann, ob mir gerade nach Sport, Mittagessen oder Laptopkram ist. Ich mache das, wonach mir gerade ist. Wie auf Reisen.

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In neue Welten tauche ich ständig ein. Zum Beispiel die Lebensumkremplerwelt in München. Menschen, die ihren sicheren Bürojob aufgeben wollen, um sich selbst zu verwirklichen treffen sich regelmäßig zum Austausch. Laura erzählt von ihrem Projekt, in dem sie mit lokalen Stadtführungen Flüchtlingen bei ihrer Integration hilft. Michael erzählt von seinem faden Alltag als Softwareentwickler und Vladimir von seinem Start-up, das Start-ups beim start-up’en hilft. Manchmal fühlt es sich nach Selbsthilfegruppe an, aber es ist eine ganz eigene Welt voller Offenheit, Inspiration, und Veränderungsenergie. Wie auf Reisen.

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Auch in die Welt der Schlafmöglichkeiten kann ich tief eintauchen. Hinter’m Bücherregal, auf dem Wolkensofa oder in der Wäschekammer. Ein Bett finde ich überall. Wie auf Reisen.

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Oder die Mamababywelt, in die ich mit meinen zwei kleinen Babyneffen immer wieder eintauche. Wenn ich mit ihnen allein unterwegs bin, sehe ich aus wie ihre Mutter, habe die Verantwortung wie ihre Mutter, benehme mich wie ihre Mutter. Menschen werfen uns Muttersprüche zu wie „Der hat Ihre Augen!“ oder „Hat die Mama dir aber eine schöne Hose angezogen!“. Wir unterhalten uns miteinander in Babysprache und mit anderen Mamas über Pipi und Kacka. Wir gehen auf den Spielplatz, ins Kindercafé, an die Mutter-Kind-Schlange im Supermarkt. Wir kaufen Windeln, Babybrei und Popocreme. Und ich sage wir statt ich. Es ist eine ganz eigene Welt voller Geduldsspiele, großer Babyliebe und Neuentdeckungen. Noch nie zuvor habe ich einer Waschmaschine ihren ganzen Waschgang lang zugesehen und mich über jede Umdrehung gefreut. Am besten sind die Schleudergänge. Zu dem rhythmischen Ssssssss kann man sogar tanzen. So sehe ich meine Umwelt immer wieder mit neuen Augen. Wie auf Reisen.

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Ich gebe zu, der Supermarkteinkauf, der Busfahrkartenkauf und das Verständnis der Menükarte fallen wieder leichter. Dafür fühle ich mich wie eine Wünschelrute für Menschen, denen eben dies hier gar nicht so leicht fällt. Menschen auf Durchreise, Menschen auf Entdeckung, oder einfach Menschen, die Spanisch sprechen. Irgendwie treffe ich auf sie an jeder Ecke und irgendwie komme ich mit ihnen zu jeder Gelegenheit in Kontakt. Wie auf Reisen.

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Ich fühle mich noch wie auf Reisen und ich erlebe noch Dinge wie auf Reisen. Eigentlich bin ich doch dann noch auf Reisen. Nur eben an einem anderen Ort. Doch der Ort war auch in Mittelamerika nie von großer Bedeutung. Klar war es aufregend in Frida Kahlos Malzimmer zu stehen. Klar was es aufregend sich von einem Felsen über die steile Klippe abzuseilen oder zu einer kolumbianischen Hochzeit zu gehen. Aber nicht, weil ich in Mexico City, Playa Gigante oder Cartagena war. Sondern weil ich mit Entdeckergeist, Wachsamkeit und Urvertrauen meiner Außenwelt begegnet bin. Und weil ich mich gut dabei gefühlt habe. Der Ort hat den Rahmen geschaffen, aber gefüllt haben ihn meine ganz eigenen Erlebnisse, meine ganz eigene Wahrnehmung und meine ganz eigenen Gefühle. Und genauso ist es auch jetzt und hier noch. Und genauso wird es auch noch an allen anderen zukünftigen Orten sein.

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Somit wird diese Reise niemals enden. Denn ich bin die Reise. Und in Zukunft werde ich antworten „Ich mache das, wonach mir gerade ist.“

 

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