Einen Monat reisten und ernährten wir uns jetzt schon in Mexiko. Insgesamt war das aufregend als auch lecker. Tag für Tag kamen wir immer besser zurecht. Wege fanden sich einfacher, der Rucksack packte sich schneller, das Spanisch sprach sich flüssiger und das Essensangebot verstand sich auch immer besser.
Genau dieses Essen bestand meistens aus Tortillas. Insbesondere dafür verdient die mexikanische Küche auch größten Respekt – Tortillas kreativ und lecker zubereiten. Die Tortillas werden aus Maismehl, nicht aus Getreide gemacht. Besonders stolz sind die Hersteller, wenn sie aus 100% Maismehl sind. Mais ist für die Mexikaner, was Weizen für die Deutschen: Grund- und Stopfnahrungsmittel Nummer Eins.
Das Essen ist für die Mexikaner von besonderer Bedeutung. In Oaxaca erzählte uns einmal ein Einheimischer, die Mexikaner essen nicht, um satt, sondern um dick zu werden. Er selbst ist von Natur aus eher schlank und wird ständig gefragt, ob er eine Krankheit habe. Dabei sah er für mein Empfinden völlig gesund geformt aus.
Alles auszuprobieren und sich Mexiko auch über das Essen zu erschließen machte Spaß. Doch mit steigendem Verständnis waren für uns Enfrijoladas, Entomatadas, Enchilladas am Ende doch immer Tortillas mit Hühnchen und ein bisschen Gemüse. Auch wenn die Zubereitungsweisen sich stets unterschieden, war das, was am Ende im Magen landete, ein Haufen Tortillas, ein Häufchen Hühnchen und ein Klecks Gemüse. Das war auch lecker, aber irgendwann der Tortilla Overkill. Da wir uns diesem aber nicht geschlagen geben und in den Pizzaladen gehen wollten, fragten wir in den Restaurants nach ‚algo sin Tortillas’ – etwas ohne Tortillas –, wurden daraufhin allerdings nur mit großen Fragezeichenaugen angeschaut. Das konnte niemand verstehen.
Auf dem Höhepunkt unseres Overkills landeten wir in unserer vorerst letzten Mexiko Station: La Punta in Puerto Escondido. Ein Ein-Straßen-Surfer-Dörfchen an Mexikos Westküste. Hier dreht sich das Leben vor allem um’s Surfen. Wer gerade nicht selber draußen ist, sitzt am Strand und schaut den anderen Surfern zu. Surfen, Essen, Surfen, Essen, Schlafen – das ist so ziemlich der Rhythmus von allen hier. Viele Wellen, viele Boardshorts, viele Tortillas sieht man hier.
Zwischen Surfen und Surfen liefen wir also hungrig durch die eine Straße auf der Suche nach algo sin Tortillas. Den Ort, der ‚Frutas y Verduras’ – Früchte und Gemüse – hieß, fanden wir ziemlich vielversprechend und probierten es dort. Was wir fanden, war nicht nur ein tortillafreies Essen, sondern auch Lynnette.
Lynnette hat vor drei Jahren ihre Louis Vuitton High Heels in Barfuß eingetauscht. Für die Liebe und den Lebensstil zog sie vom Millionen-Straßen-Dorf New York in das Ein-Straßen-Dorf La Punta. Ihr Freund Tomo betreibt diesen Ort voller Frutas y Verduras, in dem man Essen, Schlafen, Surfen und Sein kann. Tomo ist hier vor allem zum Surfen. Schlafen und Sein können beide gut. Und Lynnette übernimmt das Essen. Denn zwischen all den Surfern hat sie hier ihren Platz gefunden: Sie hat sich voll und ganz der Detox Ernährung verschrieben. Für sich und manchmal auch für andere.
Ihr Verständnis davon ist vor allem rohes Gemüse in frischer, getrockneter oder pulverisierter Form, Hauptsache nicht gekocht. Dazu viel Wasser – und keine Tortillas. Zuvor war mir nicht klar, dass man rohes Gemüse in so viele verschiedene Aggregatzustände verformen kann. Und dass diese auch noch wahnsinnig lecker sind. Dafür hat sie vom Zentrifugalentsafter bis zum Kokosnusstrockner unzählige Küchengeräte in ihrer nach oben offenen Küche auf dem Dach. Allein um unser kulinarisches Highlight – einen rohen Kürbiskuchen – herzustellen, benötigt sie davon fünf verschiedene. Diese zu reinigen dauert dabei noch länger, als sie schmutzig zu machen. Doch nichts kann ihre Leidenschaft für rohes Gemüse brechen.
In der Zeit, in der sie gerade nicht entsaftet oder trocknet, klettert sie auf den Dächern der Hütten von Frutas y Verduras umher. Denn auf all diesen baut sie ihr Gemüse an, um auch ganz sicher die pursten Zutaten zu haben. Von unten sieht Frutas y Verduras aus, wie ein hübsches Surfhostel voller Hängematten und Dreadlocks. Wenn man aber auf die Wave-Watching-Plattform, ganz oben über den Hütten klettert, sieht Frutas y Verduras aus, wie ein Gewächshaus voller Beete mit grünem Blattgemüse. Wenn Lynnette die Beete gießt, denken unten immer alle es regnet.
Unser Tortilla Overkill stieß bei ihr neben Mitgefühl auch auf Fürsorge – und sie nahm uns mit in ihre Detoxwelt. Zwei Tage lang pflanzten, pürierten und pulverisierten wir mit ihr. Morgens kletterten wir mit dem Surfboard über Wellen und nachmittags mit der Leiter über die Beete.
Der Mond war gerade in seiner zweiten Phase. Daher säten wir insbesondere Pflanzen, die ihre Samen außerhalb der Blüte tragen. Die mögen halt die zweite Mondphase. Pflanzen, die ihre Samen in der Blüte tragen mögen die erste Mondphase. Am Besten pflanzt es sich, wenn der Mond im Zeichen des Krebs steht. Nur niemals irgend etwas bei Vollmond pflanzen!
Für 2cl Blaubeersaft braucht man eine ganze Packung Blaubeeren. Trotz Mastikationsentsafter. Aber danach sollte man auch erst einmal keine Erkältung mehr bekommen. Lynnette nennt es Anti-Ebola-Shot. Cranberries ohne Zuckerzusatz kann man nur selber machen und schmecken so viel besser, als die aus der Tüte. Zentrifugalentsaftetes Obst und Gemüse hält sich 24, Mastikationsentsaftetes 72 Stunden im Kühlschrank. Maca Puder passt zu jeder Saftkombination, wirkt wie ein natürliches Viagra und hilft beim Schwangerwerden. Wenn man es denn will. Spirulina Puder ist gut nach dem Sport und lässt die Muskeln schneller wachsen als jeder Proteinshake. Wenn man es denn will.
Neues Futter gab es also nicht nur für den Magen, auch für den Kopf. Doch besonders dankbar waren Kopf als auch Magen für den Tortillaentzug. Am Ende hatten wir zwei Tage lang nicht einmal an Tortillas gedacht – und Lynnette hatte uns von unserer Tortillaimmunität geheilt. Als wir abreisten, gab sie uns noch eine Tüte ihrer selbstgetrockneten, -gepellten und -gemixten Snacks mit. Diese aßen wir auf unserer Weiterreise mit Genuss – und mit einer Tortilla dazu.
Vielen Dank Lynnette und ihrer Detox-Kur im Live Loft Mexico für diese Heilung.
Puerto escondido ist so wunderschön! Ich vermisse die mexikanischen Tortillas
Es ist wohl wie immer: Was man hat, will man nicht, bis man es nicht mehr hat