Dieser Tag sollte der Letzte auf Caye Caulker werden. Die Insel, von der wir eigentlich gar nicht weg wollten. Singende Menschen auf Fahrrädern, offene Begegnungen mitten auf der Straße, interessante Menschen mit interessanten Lebensgeschichten, Gelassenheit an jeder Ecke und die offizielle Anordnung langsam zu gehen. Nicht nur auf, sondern auch um die Insel gab es viel zu entdecken: Ein beeindruckendes Riff mit lauter wilden Meerestieren.
Diese wollten wir an unserem letzten Tag entdecken und hüpften in ein kleines Boot mit einem kleinen lokalen Meereskenner: Popes. Popes hatte nicht nur viele lockere Sprüche drauf, sondern auch offensichtlich Wasserröntgenaugen. Denn er fuhr im weiten Meer zielstrebig an Stellen, wo sich die Tierchen tummelten. Wir schwommen mit einer Seekuh, die beeindruckend groß und beeindruckend entspannt mal hier, mal da durch’s Wasser gleitete. Ebenso mit Mantarochen, Schildkröten, Barrakudas und etlichen Fischschwärmen. Am intensivsten aber waren für mich die Haie, die ich sogar am Kopf streichelte. Bis dahin dachte ich, man streichelt nur niedliche Tiere. Sie fühlen sich nicht schleimig glatt, wie erwartet, sondern runzelig grobkörnig an.
Später strandeten wir mit all unseren kleinen Begleitern – Boot, Popes, Meeresehrfurcht – auf einer kleinen Insel. Es gab zwei Hunde, einen Lagerfeuerplatz, einen Gaskocher und einen Toilettensitz über dem Meer, der Zivilisation vortäuschte und gleichzeitig auf’s Korn nahm. Ansonsten war die Insel wunderbar einsam. Im Sonnenuntergang fischten und brieten wir unser Abendessen. Wenn es auch etwas absurd war, dass wir die zuvor fasziniert gefundenen Fische nun verspeisten – wir lebten den Robinsontraum für einen Abend.
Da die Sonne um sechs Uhr unterging und der Wind uns den ganzen Tag um die Nase geblasen hatte, fühlte sich die neun Uhr Rückkehr bereits wie tiefe Nacht an. So tief, dass wir nicht mehr in der Lage waren, uns für die einzige Abreisefähre am nächsten frühen Morgen zu organisieren. Es wäre ein toller letzter Tag gewesen – so toll, dass wir noch einen davon wollten. Aus Müdigkeit, aber noch viel mehr aus Abschiedsmelancholie entschieden wir uns, die Fähre sausen zu lassen.
Am nächsten Morgen waren wir froh, dass die Meeresluft-Überdosis uns zum Bleiben bewegt hatte. Wir starteten in den Tag, als würden wir schon ewig auf Caye Caulker wohnen. Wir nahmen unser Omelettfrühstück, füllten die Wasserflaschen am Lieblingswasserspender und taten auch sonst, was wir immer dort taten: Über die Insel streifen, Begegnungen an jeder Ecke haben, schwimmen, wenn wir schwimmen wollen, essen, wenn wir essen wollen. Bis wir am Abend kurz vor den Mücken fliehen müssen – und anschließend wieder losstreifen.
Gleich beim ersten Schwimmstopp trafen wir auf Ben. Big Ben. Er hatte einen Mantarochen gesichtet und wollte seinen beeindruckenden Meeresfund mit uns teilen. Mit nur einem Schnorchelequipment ausgestattet, streiften wir in Entenformation zu dritt durch’s Wasser auf der Suche nach ihm. Da wir im Wasser eine ziemlich gute Dreierkonstellation abgaben, versuchten wir es anschließend auch an Land und streiften über die Insel. Big Ben konnte uns noch einige unentdeckte Ecken zeigen. Dank unserer vorangegangener Streifzüge klappte das aber auch vice versa. Er fügte sich ohnehin ohne Reibung wunderbar in unseren Streifrhythmus ein – und wir schwommen, wenn wir schwimmen wollten, aßen, wenn wir essen wollten und hatten nette Begegnungen an jeder Ecke.
Big Ben war selber kein Inselureinwohner, aber vor zwei Jahren nach Caye Caulker gezogen. Er bewohnt ein Haus in der hintersten Ecke der Insel. Es ist großzügig und offen geschnitten. Außer zum Bad gibt es keine Türen und aus jedem Zimmer kann man das Meer sehen. Am Besten geht das jedoch von den Hängematten auf dem Dach.
Bens Leidenschaft sind Kokosnüsse, denn einst heilten sie ihn von Denguefieber, erzählt er uns. Deswegen gibt es in seinem Haus neben einem großen Vorrat an frischen Kokosnüssen Unmengen gekühltes Kokosnusswasser, gefrorenes Kokosnusswasser, den besten Kokosnussöffnungshammer, denn ich je gesehen habe, einen Kokosnussfleischherausdübler, Kokosnusskörpercreme, Kokosnussantimückenöl und leere Schalen überall. In seinem Kokosnusshaus kann Big Ben für sich sein und seine aktuelle Mission verfolgen: Ein Buch schreiben. Wenn er Gesellschaft will geht er einfach auf die Straße. Hier kennt man sich – und Big Ben ist nicht zu übersehen.
Wie wir so streiften, kannte er einige der Inselbewohner, denen wir begegneten. Wir wurden immer gleich als Freunde vorgestellt und warm begrüßt, was uns das Gefühl lokaler Zugehöriger anstatt fremder Besucher gab. Das war ein tolles Gefühl. Gerade auf dieser wunderbaren Insel, auf der man einfach nur bleiben möchte. Es war wie ein Gefühl auf Probe. Einmal ausprobieren, wie es sich anfühlt, tatsächlich zu bleiben.
Es war ein Dienstag – und auch wenn sich hier nichts nach Alltag anfühlt, trafen wir auf Menschen mitten in ihrer Alltagsroutine. Sie fuhren gerade einkaufen, arbeiteten in ihrem Ladengeschäft, machten Mittagspause, werkelten an ihrem Haus. Doch all das mit tiefer Gelassenheit und einem Sinn für’s Routinebrechen. Sie luden uns zu sich ein, erzählten von sich, zeigten Einblicke in ihr Leben. Es schien, als sei sogar der alltägliche Weg zum Müll hier ein Akt des Genuss’. Auch wenn es alltägliche Notwendigkeiten zu tun gibt, gibt es hier immer einmal mehr Zeit für Entspannung.
Eine Begegnung erzählte uns von den Krokodilen, die kurz vor Sonnenuntergang immer auf die Rollbahn des Mini-Flugplatzes kriechen. Also machten wir an diesem einfachen Dienstag Nachmittag noch eine Expedition zu den Krokodilen. Auch wenn alles klein ist und jeder alles und jeden kennt, gibt es hier immer noch etwas Neues zu entdecken.
Großes Thema war überall die Halloweenfeier, die vor der Tür stand. Alle überlegten an ihrem Kostüm. Auch Big Ben hatte noch keine Idee und der nächste Kostümladen war seemeilenweit entfernt – und hätte eh nicht seine Größe. Also bastelten wir ihm ein Kostüm aus einem Bettlaken, einem Pappkarton – und zwei Kokosnüssen. Er wurde zur Prinzessin Leia. Was am wenig prinzessinnenhaften Big Ben angezogen noch besser als in der Theorie, weil voller Selbstironie, war. Auch wenn es nicht viele Möglichkeiten gibt, gibt es hier immer noch Raum und Fantasie, sich diese selber zu erdenken.
So flog der Tag vor sich hin, bis wir abends merkten, dass unser letzter Tag genau wie am vorigen letzten Tag plötzlich vorbei ging. Da die Sonne um sechs Uhr unterging und wir so viel gestreift, geschwommen, begegnet waren, fühlte sich die neun Uhr Rückkehr bereits wie tiefe Nacht an. So tief, dass wir nicht mehr in der Lage waren, uns für die einzige Abreisefähre am nächsten frühen Morgen zu organisieren.
Genau so hätten wir jeden Tag weiter unseren letzten Tag verschieben können. Das Gefühl auf Probe hatte die Probe bestanden. Doch wir hatten einen Anschlussflug gebucht.
Wow, du hast mir meine Entscheidung, ob ich Caye Caulker in meine Reiseplanung für Zentralamerika integrieren soll, gerade abgenommen! Ist nun fix eingeplant. Danke für den tollen Bericht!